Eine innergemeinschaftliche Lieferung oder Verbringung ist umsatzsteuerfrei, auch wenn der Unternehmer dem Finanzamt keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) mitteilt. Es dürfen jedoch keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung bestehen, und die Ware muss in den anderen EU-Staat gelangt sein. Dies hat der Europäische Gerichtshof aktuell entschieden und damit die Rechte von Unternehmern gestärkt.
Hintergrund: Lieferungen zwischen Unternehmern innerhalb der EU sind umsatzsteuerfrei. Der deutsche Gesetzgeber knüpft dies aber noch an bestimmte formelle Voraussetzungen, wie z. B. die Vorlage der USt-IdNr. des Abnehmers im EU-Ausland. Einer Lieferung gleichgestellt ist die sog. Verbringung, bei der der Unternehmer die Ware in das EU-Ausland zu seiner eigenen Verfügung in einen dortigen Unternehmensteil verbringt. Hier muss der Unternehmer die Anschrift und die USt-IdNr. des im anderen EU-Staat gelegenen Unternehmensteils aufzeichnen.
Sachverhalt: Der Kläger war deutscher Kfz-Händler und erwarb im Jahr 2006 ein Kfz. Er versandte das Auto an einen Kfz-Händler in Spanien, um es selbst in Spanien zu verkaufen. Der Verkauf des Kfz fand dann im Jahr 2007 statt. Das Finanzamt hielt die Verbringung des Kfz im Jahr 2006 nach Spanien für umsatzsteuerpflichtig, weil der Kläger keine spanische USt-IdNr. vorlegte. Der Fall kam zum Finanzgericht München, das den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anrief.
Entscheidung: Der EuGH bejahte die Umsatzsteuerfreiheit:
- Die Umsatzsteuer muss generell neutral sein, darf also den Unternehmer nicht belasten. Der Gesetzgeber darf daher die Umsatzsteuerfreiheit einer Lieferung oder Verbringung nicht von der Erfüllung formeller Pflichten abhängig machen, ohne zu berücksichtigen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Umsatzsteuerfreiheit erfüllt sind, also z. B. die Ware in das EU-Ausland gelangt ist.
- Das Fehlen der USt-IdNr. des Unternehmers des anderen EU-Staates allein rechtfertigt daher grundsätzlich nicht die Versagung der Umsatzsteuerfreiheit. Hiervon gibt es allerdings zwei Ausnahmen:
- Der Unternehmer darf sich nicht an einer Umsatzsteuer-Hinterziehung beteiligt haben. Im Streitfall gab es jedoch keine Anhaltspunkte für eine Beteiligung des Klägers an einer Steuerhinterziehung.
- Ohne die formelle Voraussetzung wie z. B. die USt-IdNr. kann nicht sichergestellt werden, dass die materiellen Voraussetzungen für die Umsatzsteuerfreiheit erfüllt sind, d. h. die Ware in den anderen EU-Staat gelangt ist und der Abnehmer ein Unternehmer ist. Im Streitfall ging aber selbst das Finanzamt davon aus, dass diese materiellen Voraussetzungen erfüllt waren.
- Kann eine Beteiligung an einer Umsatzsteuer-Hinterziehung ausgeschlossen werden, kommt es nicht darauf an, ob der Unternehmer alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um dem Finanzamt die USt-IdNr. des ausländischen Unternehmers mitzuteilen.
Hinweise: Das Urteil ist unternehmerfreundlich, weil es die Anforderungen an die Umsatzsteuerfreiheit für Lieferungen und Verbringungen innerhalb der EU reduziert. Der deutsche Gesetzgeber darf zwar formelle Anforderungen wie die Aufzeichnung der USt-IdNr. aufstellen. Diese Anforderungen haben aber keinen Selbstzweck, sondern verlieren an Bedeutung, wenn die materiellen Voraussetzungen für die Umsatzsteuerfreiheit erfüllt sind und keine Umsatzsteuer-Hinterziehung vorliegt.
Zwar dient die USt-IdNr. insbesondere der Kontrolle, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt. Dem EuGH zufolge rechtfertigt dies aber nicht, das Fehlen der USt-IdNr. wie die Nichterfüllung der materiellen Voraussetzungen zu behandeln und allein deshalb die Umsatzsteuerfreiheit zu versagen. Der deutsche Gesetzgeber darf jedoch eine gesetzliche Regelung einführen und das Fehlen der USt-IdNr. mit einer angemessenen Geldbuße sanktionieren.
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